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Nachlasspflegschaft: Genehmigungspflicht bei Verfügungen über 3.000 Euro

LG Hamburg, Az.: 317 O 77/10, Urteil vom 16.07.2010

1. Die Beklagte wird verurteilt,

a) das Girokonto Nr. …. lautend auf die Inhaberin E. O. aufzulösen und das Guthaben in Höhe von Euro 3.886,91 an die Klägerin auszuzahlen.

b) das Girokonto Nr. …. lautend auf den Inhaber W. G. H. aufzulösen und das Guthaben in Höhe von Euro 2.407,49 an die Klägerin auszuzahlen.

c) das Girokonto Nr. …. lautend auf die Inhaberin E. S. aufzulösen und das Guthaben in Höhe von Euro 3.332,19 an die Klägerin auszuzahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3. Das Urteil ist aufgrund des Tenors zu 1 b) – Zahlung – ohne und im Übrigen nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von Euro 8.500,00 vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert wird auf Euro 9.926,59 festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin verlangt als Nachlasspflegerin die Auflösung mehrerer Girokonten und die Auszahlung von Guthaben.

Nachlasspflegschaft: Genehmigungspflicht bei Verfügungen über 3.000 Euro
Foto: FreedomTumZ/Bigstock

Die Klägerin ist durch die Amtsgerichte Hamburg, Hamburg-Barmbek und Hamburg-Wandsbek zur Nachlasspflegerin für die unbekannten Erben der Erblasser E. O., W. H. und E. S. bestellt worden (Anlagen K 1 bis K 3). Die drei Erblasser waren Kunden der Beklagten und führten dort ein Girokonto, das sich jeweils aus dem Tenor ergibt. Zum Zeitpunkt der Klagerhebung führten die Girokonten die ebenfalls aus dem Tenor ersichtlichen Guthaben. Die Klägerin begehrte als Nachlasspflegerin die Auflösung der Konten und die Auszahlung der entsprechenden Guthaben. Das verweigerte die Beklagte außergerichtlich. Im gerichtlichen Verfahren erkannte die Beklagte den Anspruch auf Auszahlung des Guthabens hinsichtlich des Nachlasses H. mit Blick auf § 1813 Abs. 1 Nr. 2 BGB an. Die Beklagte begründete ihre Verweigerung mit der Erforderlichkeit einer nachlassgerichtlichen Genehmigung. Die Nachlassgerichte verweigerten der Klägerin eine entsprechende Genehmigungserteilung insbesondere zur Auszahlung des Guthabens vor dem Hintergrund des zum 1. September 2009 neu gefassten § 1813 Abs. 1 Nr. 3 BGB. Die Auszahlung sei genehmigungsfrei möglich. Unabhängig von diesen Äußerungen der Nachlassgerichte nahm die Beklagte die Auszahlungen nicht vor.

Die Klägerin meint, durch die Neuformulierung des § 1813 Abs. 1 Nr. 3 BGB sei eine nachlassgerichtliche Genehmigung auch bei Kontenguthaben von über Euro 3.000,00 nicht mehr erforderlich. Das Gleiche gelte für eine entsprechende Kündigung des Girovertrages und der darauf basierenden Auflösung des Kontos durch die Beklagte.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen,

1. das Girokonto Nr. …. lautend auf die Inhaberin E. O. aufzulösen und das Guthaben an die Klägerin auszuzahlen.

2. das Girokonto Nr. …. lautend auf den Inhaber W. G. H. aufzulösen und das Guthaben an die Klägerin auszuzahlen.

3. das Girokonto Nr. …. lautend auf die Inhaberin E. S. aufzulösen und das Guthaben an die Klägerin auszuzahlen.

hilfsweise beantragt sie, die Beklagte zu verurteilen,

1. vom Girokonto Nr. …. lautend auf die Inhaberin E. O. einen Betrag von Euro 3.880,00 an die Klägerin auszuzahlen.

2. vom Girokonto Nr. …. lautend auf den Inhaber W. G. H. einen Betrag von Euro 2.400,00 an die Klägerin auszuzahlen.

3. vom Girokonto Nr. …. lautend auf die Inhaberin E. S. einen Betrag von Euro 3.330,00 an die Klägerin auszuzahlen.

Die Beklagte beantragt nach teilweisem Anerkenntnisses des Hilfsantrags zu 2., die Klage im Übrigen abzuweisen.

Die Beklagte meint, sowohl die Aufhebung des Girovertrages als auch die Annahme einer Auszahlung bei einem Kontoguthaben von über Euro 3.000,00 bedürfe der nachlassgerichtlichen Genehmigung. Zum einen sei § 1813 hinsichtlich der Auflösung des Girokontos nicht anwendbar. Zum anderen sei der neu gefasste § 1813 Abs. 1 Nr. 3 BGB teleologisch zu reduzieren und auf den Nachlasspfleger nicht anzuwenden. Die veränderte gesetzliche Regelung beziehe sich lediglich auf den Betreuer und den Vormund. Hinsichtlich des Nachlasspflegers liege keine vergleichbare Situation vor. Die durch eine Missbrauchsgefahr berührten Sicherheitsinteressen der unbekannten Erben seien so hoch zu bewerten, dass eine Anwendung dieser Norm auf Nachlasspfleger nicht in Betracht komme. Der Gesetzgeber habe eine Erstreckung der Wirkung auf den Nachlasspfleger nicht gewollt.

Hinsichtlich des weiteren Prozessstoffes nimmt das Gericht Bezug auf die gewechselten Schriftsätze.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist bereits in den Hauptanträgen begründet. Lediglich aus redaktionellen Gründen hat das Gericht im Rahmen des § 308 ZPO die von der Klägerin in der Klagbegründung aufgeführten unstreitigen Guthaben der einzelnen streitgegenständlichen Girokonten in den Tenor mit aufgenommen.

1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf Auszahlung der streitgegenständlichen Guthaben. Der Anspruch ergibt sich aus den entsprechenden Giroverträgen, die noch der Erblasser mit der Beklagten eingegangen ist. Den Auszahlungsanspruch der Klägerin in Höhe von Euro 2.400,00 hinsichtlich des Erblassers H. hat die Beklagte mit der Klagerwiderung anerkannt. Insoweit ist ein Anerkenntnisteilurteil ergangen. Auch im Übrigen trifft die Beklagte eine entsprechende Auszahlungsverpflichtung. Der genehmigungsfreie Anspruch der Klägerin folgt auch über den Anwendungsbereich des § 1813 Abs. 1 Nr. 2 BGB hinaus aus dem neu gefassten § 1813 Abs. 1 Nr. 3 BGB.

Gemäß des Wortlautes der neu gefassten Nr. 3 („wenn der Anspruch das Guthaben auf einem Giro- oder Kontokorrentkonto zum Gegenstand hat…“), der gemäß § 1915 BGB auf Pfleger, insbesondere auch auf Nachlasspfleger (§ 1960 BGB) Anwendung findet, stellt die Auszahlung bzw. die Annahme der Leistung eine genehmigungsfreie Vertretungshandlung dar. Die Begrenzung auf einen Wert von Euro 3.000,00 gemäß § 1813 Abs. 1 Nr. 2 BGB hat der Gesetzgeber aufgegeben. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass das uneingeschränkt für Vormünder und Betreuer gilt.

a)

Im neu gefassten Gesetz findet sich dem Wortlaut nach weder in der Regelung des § 1813 Abs. 1 Nr. 3 BGB noch in der Verweisungsnorm des § 1915 BGB eine Einschränkung dahingehend, dass diese Erweiterung der genehmigungsfreien Verfügungsmöglichkeit nicht auch für Nachlasspfleger gelten soll. Aus diesem Grund ist zunächst aufgrund des eindeutigen Wortlauts von der Anwendbarkeit auch für den Nachlasspfleger auszugehen. Das ergibt sich auch unmittelbar aus § 1915 Abs. 1 Satz 1 BGB, wonach auf die Pflegschaft die Vorschriften über die Vormundschaft Anwendung finden, soweit sich aus dem Gesetz nicht etwas anderes ergibt. Wie bereits gezeigt, ist das nicht der Fall.

b)

Auch aus der Entstehung und Begründung des Gesetzes ergibt sich, dass eine einschränkende Anwendung des neu gefassten § 1813 Abs. 1 Nr. 3 BGB nicht gewollt war. Zwar ist der Beklagten zuzugestehen, dass offenbar für den Gesetzgeber die Situation des Vormunds und Betreuers als Grund für die Neuregelung entscheidend war, so dass diese in der Gesetzesbegründung (Drucksache des Bundestages 16/10798, Seite 24) häufig erwähnt werden. Jedoch ergibt sich auch unmittelbar aus der Begründung des Gesetzes, dass der Gesetzgeber eine Anwendung auf den Pfleger gesehen hat. Die Begründung enthält folgenden Passus:

„Durch die Gesetzesänderung wird nunmehr klargestellt, dass der Vormund, Pfleger (§ 1915 Abs. 1 Satz 1 BGB) oder Betreuer (§ 1908i Abs. 1 Satz 1 BGB) auch über das Guthaben des Mündels/Betreuten auf einen Giro- oder Kontokorrentkonto genehmigungsfrei verfügen kann.“ (Hervorhebung durch das Gericht)

Das Gericht hat keinen Zweifel, dass der Gesetzgeber die Anwendbarkeit der Neuregelung auch auf Pfleger gesehen und bewusst geregelt hat. Das ergibt sich unmittelbar aus der zuvor zitierten Begründung. Durch die wörtliche Aufnahme des Pflegers einschließlich der Verweisungsnorm hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass die Neuregelung nicht nur für Vormünder und Betreuer, sondern auch für Pfleger gelten soll.

c)

Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber eine Anwendung auf den Nachlasspfleger nicht gewollt hätte und/oder eine teleologische Reduktion des § 1813 Abs. 1 Nr. 3 BGB hinsichtlich Nachlasspfleger erforderlich ist, kann das Gericht nicht erkennen.

Die Beklagte kann mit ihrem Argument, dass der Aufgabenbereich eines Nachlasspflegers hinsichtlich der Abwicklung von Zahlungsverkehr nicht ausreichend vergleichbar sei mit Vormündern und Betreuern, nicht durchdringen. Wollte die Beklagte dieses Argument als durchdringend betrachten, würde sich zunächst die Frage stellen, warum die Beklagte bisher in Anwendung des § 1813 Abs. 1 Nr. 2 BGB den Nachlasspfleger genehmigungsfrei im Rahmen des der Höhe nach beschränkten Zahlungsverkehrs agieren ließ (vgl. auch Teilanerkenntnis). Darüber hinaus steht für das Gericht aus eigener Sachkenntnis fest, dass der Nachlasspfleger auch aufgrund der Laufzeiten von mehreren Jahren entsprechender Pflegschaften und der Notwendigkeit der Abwicklung sowie zum Teil Aufrechterhaltung von laufenden Verträgen auf die Verwendung des Girokontos angewiesen ist. Es dürfte selten der Fall sein, dass nur noch die Bestattungskosten durch den Pfleger anzuweisen sind.

Auch kann das Gericht der Beklagten nicht darin folgen, dass die Missbrauchsgefahr bei Nachlasspflegern eine Einschränkung des Anwendungsbereiches notwendig machen würde. Der Gesetzgeber hat sich ausweislich der Begründung mit der Missbrauchsgefahr auseinandergesetzt. Er kommt unter anderem zu dem Ergebnis, dass sich unredliche Kontobewegungen aufgrund der Dokumentation des Kreditinstituts sehr viel leichter nachverfolgen lassen als Verfügungen über Bargeld. Das höhere Entdeckungsrisiko dürfte nach der Auffassung des Gesetzgebers von Veruntreuungen abhalten. Überdies bestehe die Rechenschaftspflicht. Sowohl der Beklagten als auch dem Gericht ist es verwehrt, diese Gesetzesmotive derart in Frage zu stellen, dass die Anwendbarkeit eines Gesetzes vor dem gleichen Hintergrund eingeschränkt wird. Der Gesetzgeber hat in diesem Punkt eine nachvollziehbare Wertung, die für Fälle der Vormundschaft, Betreuung und Pflegschaft greift, getroffen. Das Gericht kann nicht erkennen, dass es bei Nachlasspflegschaften qualitative Unterschiede bei der Veruntreuungsgefahr im Vergleich zu Vormundschaften und Betreuungen gibt. In allen Fällen ist der Betroffene der Rechenschaftspflicht gegenüber dem Gericht und bei Nachlasspflegschaften auch der weiteren Kontrolle durch die gegebenenfalls ermittelten Erben ausgesetzt.

2. Die Beklagte ist darüber hinaus verpflichtet, der Aufhebung des Girovertrages auch ohne Genehmigung des Nachlassgerichtes zuzustimmen und die betroffenen Konten aufzulösen. Soweit das Girokonto kein Guthaben mehr ausweist, z.B. auch aufgrund genehmigungsfreier Verfügungen gemäß § 1813 Abs. 1 Nr. 3 BGB, ist die Aufhebung des Girovertrages genehmigungsfrei möglich. Dabei ergibt sich die mangelnde Genehmigungspflicht zwar nicht direkt aus der Neuregelung des § 1813 BGB Abs. 1 Nr. 3 BGB, sondern aus einer einschränkenden Auslegung des § 1812 BGB.

a)

§ 1813 Abs. 1 Nr. 3 BGB n.F. rechtfertigt keine Genehmigungsfreiheit hinsichtlich der Auflösung des Girokontos. Der Wortlaut („wenn der Anspruch das Guthaben auf einem Giro- oder Kontokorrentkonto zum Gegenstand hat…“) und die Gesetzesbegründung (Drucksache des Bundestages 16/10798, Seite 24) geben eine solche Auslegung nicht her.

Nach dem Wortlaut der neugefassten Regelung ist nur der Anspruch, der das Guthaben einem Girokonto zum Gegenstand hat, betroffen, nicht jedoch der Girovertrag selbst. Die Gesetzesbegründung enthält zur näheren Erläuterung folgenden Passus:

„Es sollen dabei nicht nur die Auszahlung des Geldes, sondern alle üblichen Nutzungen eines solchen Kontos, insbesondere auch die Überweisung von Geld, erfasst werden,…“

Der Gesetzgeber verwendet hier den Begriff der „Nutzungen“ eines Kontos. Damit hat er ausreichend klargestellt, dass der Girovertrag selbst in seinem Bestand nicht von der Neuregelung erfasst wird. Eine solche Auslegung wäre auch grundsätzlich problematisch, da § 1813 BGB als Ausnahmevorschrift zu § 1812 BGB lediglich genehmigungsfreie Annahmen von geschuldeten Leistungen regelt. Die Begründung und Aufhebung von Vertragsverhältnissen wird durch § 1813 BGB nicht berührt.

b)

Die Genehmigungsfreiheit der Aufhebung eines Girovertrages bei fehlendem Guthaben ergibt sich jedoch aus einer einschränkenden Auslegung des § 1812 BGB auch vor dem Hintergrund der Gedanken aus § 1813 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BGB.

Gemäß § 1812 Abs. 1 Satz 1 BGB bedürfen Verfügungen des Vormunds über eine Forderung oder über ein anderes Recht, kraft dessen der Mündel eine Leistung verlangen kann, der Genehmigung. Es bedarf keiner näheren Erörterung, dass dem Kontoinhaber aus dem jeweiligen Girovertrag Forderungen gegenüber der Bank zustehen unabhängig davon, ob und in welcher Höhe ein Guthaben gegeben ist (vgl. insoweit auch LG Meiningen, 3.3.2008, 3 T 390/07, FamRZ 2008, 1375). In dem Aufhebungsverlangen liegt auch eine Verfügung. Es ist allgemein anerkannt, dass das Bürgerliche Gesetzbuch darunter ein Rechtsgeschäft versteht, durch das der Verfügende auf ein Recht unmittelbar einwirkt, es also zum Beispiel aufhebt oder sonst seinem Inhalt nach ändert (vgl. Staudinger- Engler , § 1812, Rz. 28 m.w.N.). Die Ausübung von Gestaltungsrechten, insbesondere die Kündigung, wird grundsätzlich als Verfügung im Sinne des § 1812 BGB verstanden (vgl. z.B. Palandt- Diedrichsen , § 1812, Rz 7 und 10). Eine Einschränkung wird lediglich dahingehend vorgenommen, dass die Gestaltungswirkung das Erlöschen, den Verlust oder die Veränderung eines auf eine Leistung gerichteten Rechts zur Folge haben muss (vgl. Staudinger- Engler , § 1812, Rz. 51). Das ist hier der Fall.

Der Anwendungsbereich des § 1812 BGB ist jedoch vor dem Hintergrund der gesetzlichen Motive und des Sinn und Zwecks der Regelung einzuschränken (vgl. dazu vgl. Staudinger-Engler, § 1812, Rz. 31ff.). Nach der Auffassung unter anderem von Engler (vgl. Staudinger, § 1812, Rz. 52) und Diedrichsen (Palandt, § 1812, Rz. 7) führt das bei der Ausübung von Gestaltungsrechten zu einer ergänzenden Anwendung der Rechtsgedanken aus § 1813 Abs. 1 Nr. 2 BGB und der darin normierten Wertgrenze von Euro 3.000,00. Soweit nunmehr durch die Neuregelung in Nr. 3 für den Vormund eine Verfügung über Guthaben von Girokonten unabhängig von der Einhaltung einer Wertgrenze möglich ist, wird diese Wertgrenze immer eingehalten werden können, da es dem Vormund möglich ist, das Konto guthabenlos zu führen. Diese Rechtsauffassung führt nach der Neuregelung in Nr. 3 dazu, dass der Vormund jederzeit genehmigungsfrei in der Lage ist, den Girovertrag zu kündigen.

Das Gericht folgt dieser einschränkenden Auslegung unter Anwendung des Rechtsgedankens aus § 1813 Abs. 1 Nr. 2 BGB. Darüber hinaus kann für den Fall eines guthabenlos geführten Girokontos auch der Rechtsgedanke aus § 1813 Abs. 1 Nr. 1 BGB angewendet werden. Denn insoweit betrifft die Aufhebung eines Girovertrages über ein guthabenlos geführtes Konto dem Inhalt der betroffenen Leistung nach weder Geld noch Wertpapiere. Diese Auslegung steht auch im Einklang mit den Motiven des Gesetzes bzw. des Sinn und Zwecks der gesetzlichen Regelung in § 1812 BGB. Der Bundesgerichtshof hat sich gerade erst mit der Regelung des § 1812 BGB vertieft auseinandergesetzt und dazu Folgendes ausgeführt (5.11.2009, III ZR 6/09, NJW 2010, 1456):

„(1) Bei der Gestaltung des Vormundschaftsrechts des Bürgerlichen Gesetzbuchs hat die Preußische Vormundschaftsordnung vom 5. Juli 1875 (Gesetz-Sammlung für die Königlich-Preußischen Staaten, 1875, S. 431) als Vorbild gedient. Diese sah – ausgehend von der dem Vormund obliegenden Sorge für die Person sowie die Vermögensangelegenheiten des Mündels (§ 27) und unter Berücksichtigung des Grundsatzes, dass der Mündel durch in seinem Namen vom Vormund vorgenommene Rechtsgeschäfte berechtigt und verpflichtet wird (§ 29) – in § 41 eine Genehmigung des Gegenvormunds nur zur Veräußerung von Wertpapieren, zur Einziehung, Abtretung oder Verpfändung von Kapitalien (sofern dieselben nicht bei Sparkassen belegt waren) und zur Aufgabe oder Minderung der für eine Forderung bestellten Sicherheit vor. Das Bürgerliche Gesetzbuch hat insoweit das preußische Prinzip der Selbständigkeit des Vormunds, das lediglich in einigen konkret im Gesetz aufgeführten, nach Meinung des Gesetzgebers wichtigen Einzelfällen eingeschränkt ist, bewusst übernommen und sich nicht zuletzt aus Gründen der Praktikabilität sowie im Hinblick auf die Bedürfnisse des Rechtsverkehrs gegen einen allumfassenden Schutz des Mündels vor etwaigen unzweckmäßigen oder böswilligen Handlungen des Vormunds durch Einführung allgemeinerer Genehmigungserfordernisse entschieden (vgl. Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Bd. IV, Motive, S. 1010; 1022 ff; 1082 ff; 1122 ff). Hierbei zielte das Genehmigungserfordernis in § 1812 Abs. 1 BGB auf die vom Gesetzgeber als besonders schutzbedürftig angesehenen Leistungsansprüche des Mündels ab und sollte der Gefahr entgegenwirken, dass mit der Erfüllung der Obligation der Gegenstand der Leistung im Vermögen des Mündels an die Stelle des aufgehobenen Anspruchs tritt und dass nach der Natur dieses Gegenstands eine Schädigung des Mündels durch Verfügungen des Vormunds erleichtert wird. Das Erfordernis der Genehmigung hatte vornehmlich die praktische Bedeutung, dass dem Vormund die Umsetzung des Anspruchs in ein leichter entziehbares Objekt ohne die Kenntnisnahme des Gegenvormunds verwehrt wird, wobei eine erhebliche Gefährdung des Mündels insoweit gesehen wurde, als Geld oder Wertpapiere Gegenstand der Leistung waren (Mugdan, aaO, Motive S. 1125). Die Ausnahmen von der Genehmigungspflicht in § 1813 BGB wurden vor diesem Hintergrund deshalb als notwendig empfunden, da anderenfalls die Regelung geeignet sei, dem Vormund die Vermögensverwaltung unnötig zu erschweren, und dies auch im Rechtsverkehr als lästig empfunden werde (Mugdan, aaO, Motive S. 1125). Dagegen sollte die Verfügung über bewegliche Sachen des Mündels – auch Geld und Kostbarkeiten – als solche nicht vom Genehmigungserfordernis erfasst werden (Mugdan, aaO, Motive S. 1128 f; Protokolle S. 6394), hier der Schutz des Mündels nur über die Regelungen zur allgemeinen zivil- und gegebenenfalls strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Vormunds erfolgen (siehe auch Mugdan, aaO, Motive S. 1086).

(2) …. Es ging nicht um den Schutz vor gegebenenfalls unwirtschaftlichen Rechtsgeschäften, sondern um den Schutz vor möglichen Untreuehandlungen des Vormunds bezüglich des von ihm verwalteten Mündelvermögens (vgl. auch Erman/Saar, BGB, 12. Aufl., § 1812, Rn. 1; Lafontaine in juris PraxisKommentar, BGB, 4. Aufl., § 1812, Rn. 1; Palandt/Diederichsen, BGB, 68. Aufl., § 1812, Rn. 1; RGRK-Dickescheid, BGB, 12. Aufl., § 1812, Rn. 6; Staudinger/Engler, BGB, Neubearbeitung 2004, § 1812, Rn. 2). Diese sollten dadurch erschwert werden, dass der Vormund nicht ohne Zustimmung des Gegenvormunds die in § 1812 Abs. 1 Satz 1 BGB bezeichneten Rechte in leichter entziehbare Objekte, d.h. vor allem in Geld, umsetzen können sollte….

cc) Dieser nur auf bestimmte rechtsgeschäftliche Vorgänge begrenzte Anwendungsbereich des § 1812 Abs. 1 BGB wird auch verdeutlicht durch die systematische Stellung der Norm im Rahmen der Regelungen über die Vermögensverwaltung in §§ 1802 ff BGB. Die Bestimmung ist inmitten der Vorschriften über die Anlegung von Mündelgeld sowie die Behandlung von Inhaber- sowie sonstigen Wertpapieren verortet. Soweit im Rahmen der Vermögensverwaltung nach §§ 1821, 1822 BGB die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts eingeholt werden muss, bezieht sich diese Regelung ebenfalls nur auf nach Meinung des Gesetzgebers besonders wichtige Rechtsgeschäfte.

dd) Auch wenn daher der Normzweck des § 1812 Abs. 1 BGB im Schutz des Mündelvermögens besteht (vgl. nur Bamberger/Roth/Bettin, BGB, 2. Aufl., § 1812, Rn. 1; Erman/Saar, aaO, Rn. 1), handelt es sich hierbei nur um einen bewusst sehr eingeschränkten Schutz. § 1812 Abs. 1 BGB stellt insoweit eine begrenzte Ausnahmevorschrift zu der im Prinzip unbeschränkten Vertretungsmacht des Vormunds dar. Der Hinweis der Beklagten auf den vom Gesetzgeber beabsichtigten Schutz ihres Vermögens kann daher nicht als Rechtfertigung dienen, um die in § 1812 BGB angelegten Begrenzungen auf bestimmte Rechtsgeschäfte zu überspielen. Entgegen der Auffassung der Revision entspricht ein weiter Anwendungsbereich der Norm weder dem Wortlaut noch dem Willen des Gesetzgebers. Es ist nicht Ziel des § 1812 BGB, einen umfassenden Schutz des Mündels dergestalt zu erreichen, dass nach § 1812 Abs. 1 Satz 2 BGB alle Verpflichtungen des Mündels einer umfassenden Genehmigungspflicht zu unterstellen sind…“

Der von § 1812 BGB bezweckte Schutz des Mündelvermögens vor veruntreuenden Handlungen des Vormunds wird vorliegend durch die Kündigung eines Girovertrages und den daraus folgenden Verlust von Rechten im Rahmen der Kontoführung nicht betroffen. Insbesondere wenn das Konto aufgrund genehmigungsfreier Verfügungen des Vormunds gemäß § 1813 Abs. 1 Nr. 3 BGB n.F. kein Guthaben mehr ausweist, ist eine Veruntreuung von Mündelvermögen nicht denkbar. Insoweit haben die aus dem Girovertrag noch bestehenden Rechte keinen „Geldwert“. Sie lassen sich nicht in Geld umsetzen und somit dem Mündelvermögen werthaltig entziehen.

Der Bundesgerichtshof hat in dem zitierten Fall die Eingehung eines vergütungspflichtigen Dienstvertrages für genehmigungsfrei erachtet. Aus Sicht des Gerichtes ist es nur konsequent, im Rahmen einer einschränkenden Auslegung des § 1812 BGB die Aufhebung eines Vertragsverhältnisses, das aufgrund einer guthabenlosen Führung des Girokontos keinen Vermögenswert mehr aufweist, sondern im Gegenteil nur noch laufende Kosten verursacht, ohne Genehmigung des Gegenvormunds oder hier des Nachlassgerichtes zuzulassen. Das gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund der Rechtsgedanken aus § 1813 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BGB.

3. Dem Antrag der Beklagten auf Gewährung Schriftsatznachlass hinsichtlich des Vortrags der Klägerin vom 1. Juli 2010 war nicht nachzukommen, § 283 ZPO. Insoweit enthielt dieser Vortrag keine neuen Tatsachen oder Erwägungen, auf denen das Urteil beruht.

4. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 1, 709 ZPO. Soweit die Verurteilung auf dem Teilanerkenntnis der Beklagten beruht, hat die Beklagte die Kosten zu tragen. Ein sofortiges Anerkenntnis im Sinne des § 93 ZPO liegt nicht vor. Die Beklagte hat Veranlassung zur Klage gegeben. Gemäß Anlage B 2 hat die Klägerin die Beklagte am 18. Februar 2010 aufgefordert, das Guthaben auszuzahlen und das Konto zu schließen. Beides kann die Klägerin ohne Genehmigung des Nachlassgerichts beanspruchen (siehe oben). Dem hat sich die Beklagte widersetzt.

Der Streitwert ergibt sich aus den auszuzahlenden Guthaben und dem Wert für die Aufhebung des Girovertrages. Aufgrund des Auszahlungsantrages hat das Gericht letzteren nur mit dem 12-fachen der monatlichen Kontoführungsgebühren ermittelt. Mangels genauer Kenntnis der Höhe der Gebühren ist das Gericht von maximal Euro 100,00 pro Konto ausgegangen.

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